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Frankreich im 18. Jahrhundert

 

 

Das 18. Jahrhundert ist in der Historiographie oft als das "französische Jahrhundert" bezeichnet worden. In der Tat mag bei einer näheren Betrachtung der großen Ereignisse und Entwicklungslinien des 18. Jahrhunderts, Frankreich eine herausragende Rolle in der europäischen und globalen Geschichte eingenommen zu haben. Obwohl Frankreich um 1700 bereits Teil eines multipolaren Mächtesystems war, das sich seit dem Westphälischen Frieden von 1648 in Europa ausgeprägt hatte und keinesfalls eine hegemoniale Macht auf dem europäischen Kontinent bildete, besaß keine Gesellschaft im 18. Jahrhundert einen größeren Einfluss auf die europäische Kultur- und Gedankenwelt als Frankreich. Nachfolgend sollen daher einige ausgewählte Themenfelder der französischen Geschichte des 18. Jahrhunderts dargestellt und meine jeweiligen Forschungsschwerpunkte kurz vorgestellt werden.

 

Die europäische Geschichte des 18. Jahrhunderts wird gewissermaßen eingerahmt von zweien der bedeutendsten Ereignisepochen der französischen Geschichte: Die Herrschaftszeit Ludwigs XIV. und die Französische Revolution mitsamt dem Aufstieg Napoleon Bonapartes. Sowohl die Reunionskriege Ludwigs XIV. als auch die Revolutions- und Koalitionskriege der revolutionären französischen Republik veränderten die europäische Karte und Mächtekonstellation nachhaltig. Der militärische und machtpolitische Aufstieg Frankreichs zur führenden (wenn auch nicht dominierenden) Macht Europas begann bereits mit dem mit Spanien geschlossenen Pyrenäenfrieden von 1659, welcher die spanische Hegemonie in Westeuropa endgültig brach. Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war durch die sogenannten Reunionskriege Frankreichs gegen die Niederlande und das Heilige Römische Reich deutscher Nation geprägt. Unter der Herrschaft Ludwigs XIV. manifestierte sich eines der für das 18. und 19. Jahrhundert wichtigsten außenpolitischen Ziele Frankreichs: Das Streben nach "natürlichen Grenzen". Da Frankreich bereits Grenzen in den Alpen, den Pyrenäen, am Atlantik und dem Ärmelkanal besaß, war mit einer derartigen Politik vor allem die offensive Ausdehnung der Ostgrenze an den Rhein verbunden. Eine derartige Politik lief zwangsläufig auf eine Konfrontation mit dem traditionellen Feind Frankreichs, den Habsburgern, hinaus. Der französisch-habsburgische Konflikt und die französische Angst vor der sogenannten "habsburgischen Klammer" stellte zwischen dem 16. Jahrhundert bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Konstante der europäischen Politik dar und wurde erst durch das berühmte "renversement des alliances" (dem großen Wechsel der Bündnispartner vor dem Siebenjährigen Krieg) von 1756 gebrochen. Durch die Heirat des zukünftigen Ludwig XVI. mit der jüngsten Tochter der habsburgischen Kaiserin, Marie Antoinette, im Jahr 1770 konnte sogar ein dynastisches Bündnis zwischen den Bourbonen und den Habsburgern besiegelt werden. Das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich überdauerte die Wirren des Zeitalters der Französischen Revolution jedoch nicht. Mit der Hinrichtung Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes 1793 hatten die französischen Revolutionäre alle diplomatischen Bande mit den Habsburgern endgültig zerrissen und die revolutionäre, französische Republik packte die alten Annektionspläne am Rhein genauso enthusiastisch an wie einst Ludwig XIV. (wenn auch unter anderen Vorzeichen). Die neu ausgebrochene, französisch-habsburgische Auseinandersetzung sollte - trotz des zwischen 1809 und 1813 erneuerten dynastischen Bündnisses durch die Heirat Napoleons und Marie-Luises von Österreich - bis zur völligen militärischen Niederlage Frankreichs im Jahr 1815 andauern. 

 

Zum Dauerkonfliktherd "Habsburg" gesellte sich im 18. Jahrhundert ein zweiter permanenter Gegner Frankreichs: Großbritannien. Die Briten hatten im 17. Jahrhundert eine Reihe von inneren Konflikten (englischer Bürgerkrieg, Diktatur Cromwells, Restauration der Stuart-Monarchie, Glorreiche Revolution) durchgemacht und einige Kriege gegen den größten militärischen und ökonomischen Konkurrenten auf See, die Niederlande, geführt. Mit dem Herrschaftsantritt Williams III. und den darauffolgenden Herrschaftsantritten von Queen Anne und König Georg I. begann Großbritannien wieder vermehrt, sich auf dem europäischen Kontinent zu engagieren und sein Kolonialreich in Nordamerika und Südasien auszubauen. Damit geriet es in direkten Konflikt mit dem sich ebenfalls im Zeichen des Merkantilismus in Nordamerika und Südasien ausbreitenden Frankreich. Ein weiterer Konfliktherd und eine zusätzliche Konstante der europäischen und globalen Politik des 18. Jahrhunderts war damit geschaffen: die französisch-britische Konkurrenz zwischen 1704 und 1815. Dieser vor allem in den Kolonien ausgetragene militärische und diplomatische Dauerkonflikt der beiden reichsten und militärisch stärksten Großmächte Europas, sollte erhebliche Folgen für die europäische Bündnisordnung haben und wird in der Historiographie auch oft als "Zweiter Hundertjähriger Krieg" (in Analogie zum spätmittelalterlichen (Ersten) Hundertjährigen Krieg zwischen beiden Mächten) bezeichnet. Langfristig zeichnete sich jedoch ab, dass sich Frankreich aufgrund seiner geographischen Lage und den regelmäßig auftretenden Konflikten mit den europäischen Kontinentalmächten keinen militärischen und finanziellen Abnutzungskrieg mit Großbritannien in den Kolonien leisten konnte. Das um die Mitte des 18. Jahrhunderts als "erstes Kolonialreich" bezeichnete Herrschaftsgebiet Frankreichs in Übersee (verschiedene Karibikinseln wie Sainte-Domingue und Martinique, die nordamerikanische Provinz Quebec und vereinzelte Gebiete in Indien wie Pondicherry) konnte im Laufe des Jahrhunderts gegen die Briten nicht gehalten werden und ging durch die Napoleonischen Kriege (trotz einer letzten Vergrößerung durch den Erwerb Louisianas) endgültig unter. Der Versuch den eigenen kolonialen Untergang doch noch irgendwie abzuwenden, bzw. vielmehr zu rächen, bewirkte überhaupt erst, dass Frankreich die revolutionäre Sache im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) unterstützte und dadurch wesentlich die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika mitbewirkte. Doch die zunächst schleichende und gegen Ende des Jahrhunderts rasante Niederlage Frankreichs im Ringen um die Überlegenheit auf See und in den Kolonien beflügelte auch erst eine der bedeutendendsten Entwicklungen für die weitere Weltgeschichte: den Aufstieg Großbritanniens zur weltweit führenden See- und Kolonialmacht.     

 

Aus den erfolgten Betrachtungen mag es nicht verwunderlich erscheinen, dass die mit Abstand blutigsten und verlustreichsten Konflikte des 18. Jahrhunderts, diejenigen waren, in denen sowohl Frankreich, Großbritannien als auch Österreich verwickelt waren: Der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714), der Siebenjährige Krieg (1756-1763) sowie die Revolutions- und Napoleonischen Kriege (1792-1815). 

 

Die Erforschung der außenpolitischen/diplomatischen und militärhistorischen Entwicklungen im 18. Jahrhunderts insbesondere aus französischer Perspektive stellen einen der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis der europäischen Politik- und Kolonialgeschichte und eines meiner Hauptforschungsfelder dar. Doch kam es auch jenseits der Diplomatenkabinetts und großen Schlachtfelder des 18. Jahrhunderts zu erheblichen Veränderungen und Entwicklungen, die gerade für die französische Gesellschaft von enormer Tragweite sein sollten. Nachfolgend sollen daher noch einige meiner wichtigsten Forschungsthemen zur Kultur-, Ideen- und Mentalitätsgeschichte Frankreichs im 18. Jahrhundert angerissen werden.    

 

Die kulturelle Dominanz und der Einfluss Frankreichs auf Europa im 18. Jahrhundert ist historiographisch unumstritten. In ganz Europa bauten sich Kaiser, Könige, Herzöge, Fürsten und Prinzen Schlösser nach dem großen Vorbild Versailles und ahmten die Hofhaltung der französischen Könige nach, kauften die neueste Pariser Mode ein und parlierten und korrespondierten auf Französisch. Kunstmäzenen wie Madame de Pompadour, die Lieblingsmätresse Ludwigs XV., Modeikonen wie Madame Récamier und unzählige Künstler an den französischen Kunstakademien, sorgten dafür, dass Frankreich zu einem Zentrum von Barock, Rokoko und Neoklassizismus in allen künstlerisch-kulturellen Aspekten wie Malerei, Literatur, Architektur, Mode, Theater etc. wurde. Französische Theaterstücke, Opern und Dichtung von Schriftstellern wie Voltaire, waren in ganz Europa en vogue. Besonders die französischen Aufklärer wie Rousseau, Voltaire, Montesquieu und Diderot wurden in ganz Europa begeistert gelesen und von Adel und Bildungsbürgertum in Salons, Leseklubs und Kaffehäusern gleichermaßen eifrig diskutiert. Interessant sind hierbei Themenkomplexe wie die Analyse der sozialen Verbreitung und Resonanz aufklärerischer Literatur in Frankreich gerade mit dem Blick auf die Französische Revolution zum Ende des Jahrhunderts. Denn über das gesamte 18. Jahrhundert hinweg, durchlief der französische Staatsapparat eine ständige Gratwanderung zwischen Zensur, Restriktion und liberaler Aufgeklärtheit. So konsequent wie man im französischen (Beamten-)Adel und Bürgertum die französischen Aufklärer und ihr neuartiges Gedankengut wie Gewaltenteilung, Rationalität, Toleranz, Gesellschaftsvertrag, Naturrecht und Naturverbundenheit sowie Rechtsstaatlichkeit bejubelte, so inkonsequent war man doch gerade im Hochadel und im Klerus bei einer Reform des Staatswesens und beharrte auf althergebrachtem Recht und Tradition. Die französische Kultur- und Mentalitätsgeschichte des 18. Jahrhunderts ist vom ständigen Konflikt zwischen Revolutionierung, Reformeifer, Konservatismus, gar Reaktion und Elitenkonflikt geprägt. Dabei war dies kein offen ausgetragener militärischer Elitenkonflikt zwischen Krone und Adel wie zu Zeiten der Religionskriege des 16. Jahrhunderts, sondern ein permanenter, untergründig schwelender Konflikt, der Frankreich innerlich lähmte und es der Krone zusehends unmöglich machte, die ständig dringlicher werdenden Finanzkrisen auf rationalem und reformerischen Weg ohne erhebliche Zugeständnisse an den Adel zu lösen. Doch tat die französische Krone auch selbst ihr Übriges, um die Bewätigung der inneren Konflikte unmöglich zu machen. Denn die Krone befand sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zusehends in einem moralischen und politischen Dilemma.

 

Die Herrschaft Ludwigs XIV. (1661-1715) stand noch völlig im Zeichen des von ihm selbst geprägten Absolutismus - der politischen Ideologie eines göttlich legitmierten und in seiner Macht uneingeschränkten Herrschers, der einzig aufgrund seiner Machtfülle als souveräner "Leviathan" (Thomas Hobbes) die Ordnung im Staat aufrechterhalten könnte und dadurch das innere Chaos der letzten Jahrhunderte verhindere. Doch die Idee des Absolutismus bekam als Herrschaftslegitimation im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend Konkurrenz. In Großbritannien hatte der König seit der Glorreichen Revolution von 1688/89 zugunsten des Parlaments bedeutend an Macht und Einfluss verloren. Auch die neu aufkommende politische Ideologie des "aufgeklärten Absolutismus" wie ihn Friedrich II. in Preußen und Maria Theresia/Joseph II. in Österreich vorlebten, forderten zunehmend auch in Frankreich eine Uminterpretation des herrschaftlichen Selbstverständnisses. Eine politische Öffentlichkeit entstand, die durch das sich entwickelnde Verlags- und Zeitungswesen auch die Instrumente besaß, die einst unantastbaren Souveräne und Fürsten zu kritisieren. Das von der Aufklärung maßgeblich beeinflusste neue Herrschaftsbild pries den Typ eines Monarchen an, der sich vor allem als "erste Diener seines Staates" und nicht selbst als Verkörperung des Staates ("L'Etat, c'est moi!") verstand und den Machtapparat anhand rationaler Gesichtspunkte gliederte und freien Gedankenaustausch zuließ. Doch während Ludwig XIV. sich noch als das Musterbeispiel eines absolutistischen Monarchen präsentierte und dafür auch das notwendige Charisma und die Ausdauer mitbrachte, so schien es Ludwig XV. (1715-1774) und Ludwig XVI. (1774-1792) an der notwendigen Weitsicht und dem politischen Gespühr eines aufgeklärten Monarchen wie Friedrich II. und einer Katharina II. zu mangeln. Die Folge war ein sich ständig hochschaukelnder Konflikt zwischen einem zutiefst unentschlossenen und zögerlichen Herrscherhaus, das theoretisch alle Macht auf sich vereinte, faktisch aber höchst umständliche, komplexe Traditionen zur Machtdurchsetzung zu befolgen hatte und einer sich durch aufklärerisches Gedankengut aufrichtenden Öffentlichkeit unter Führung des Adels und des Großbürgertums, die eine Reform des absolutistischen Staatswesens verlangte. Das sich lange abzeichnende politisch-gesellschaftliche Erdbeben erfolgte schließlich mit der Einberufung der Generalstände im Mai des Jahres 1789 aufgrund des Unvermögen der französischen Regierung, die erdrückenden Staatsschulden und die Finanzkrise auf reformerischen Weg zu bewältigen. Der Französischen Revolution und den neuen Revolutionsregierungen gelang es hingegen ebenfalls nicht, die Finanzkrise zu lösen. Stattdessen sollte die politische und symbolische Kultur und Mentalität Frankreichs vollkommen auf den Kopf gestellt werden und aus der absolutistischen Monarchie zunächst eine konstitutionelle Monarchie und schließlich eine Republik werden. Die Ironie der Geschichte - so scheint es - wollte es, dass es erst dem autoritärsten und repressivsten Herrscher Frankreichs gelang, die Finanzkrise (zumindest kurzfristig) zu überwinden und sich gleichsam als Verkörperung der aufklärerischen Revolution und Retter der Nation darzustellen vermochte: Napoleon Bonaparte.     

 

Hintergrundgemälde: Anicet Charles Gabriel Lemonnier, Lecture de la tragédie de l’Orphelin de la Chine de Voltaire dans le salon de Madame Geoffrin, Öl auf Leinwand, Château de Malmaison, Rueil-Malmaison, Frankreich.

 

 

 

 

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© 2015 by Tim Altpeter

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