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Russland im 18. Jahrhundert

 

 

Das 18. Jahrhundert sah für Russland die bis dahin tiefgreifendsten Veränderungen seiner Geschichte. Das ursprünglich kleine, entlegene Reich der moskowitischen Zaren, das sich über Jahrhunderte hinweg nur mit äußerster Kraftanstrengung gegen die zentralasiatischen, muslimischen Reiterheere verteidigt hatte und sich seit dem Fall Konstantinopels 1453 unter die Herrschaft der osmanischen Sultane als das "Dritte Rom", das neue Zentrum der christlichen Orthodoxie, betrachte, entwickelte seit der Herrschaft Peters des Großen (1682-1721) bis dahin ungeahnte Modernisierungskräfte. Die russische Kultur, Politik, Armee, Mode, Kunst und sogar Sprache öffnete sich für westeuropäische Einflüsse, neue Großstädte wie Sankt Petersburg entstanden, der russische Adel begann, sich auf Französisch zu unterhalten und neue künstlerische und wissenschaftliche Akademien und Universitäten entstanden, die sich schon bald mit ihren französischen und britischen Pendants messen konnten. Um 1700 war Russland noch eine kleine Regionalmacht, die sich mit den Osmanen, den Polen-Litauern und den Schweden um die Hegemonie in Osteuropa stritt. Westeuropäische Großmächte wie Frankreich und Großbritannien zeigten selbst zum Zeitpunkt des Todes Peters I. nur ein mäßiges Interesse für dieses unbekannte Reich an der europäischen Peripherie, das sich seit 1721 sogar als Kaiserreich bezeichnete. Doch dies änderte sich schlagartig mit dem militärischen Engagement Russlands in Zentraleuropa und seiner enormen territorialen Ausbreitung unter der Herrschaft der Kaiserinnen Elisabeth I. (1741-1762) und Katharina der Großen (1762-1796). Zum Zeitpunkt des Wiener Kongresses 1814/15 war Russland zur militärisch führenden Kontinentalmacht aufgestiegen, hatte die Invasion Napoleons 1812 im Vaterländischen Krieg abgewährt und gemeinsam mit seinen Verbündeten Preußen, Österreich und Großbritannien, das französische Kaisereich in die Knie gezwungen. Im Jahr 1815 stand Russland im Zenit seiner zaristischen Großmacht und Anerkennung als solche, während einstige Konkurrenten wie Polen-Litauen untergegangen waren. Sein eigenes Territorium hatte Russland hingegen derart ausgedehnt, dass es nahezu ganz Osteuropa dominierte und zum größten Flächenstaat der Erde angewachsen war. Die folgende Darstellung soll den interessierten Leser einen kurzen Einblick in die Geschichte Russlands im 18. Jahrhundert geben und meine Forschungsfelder zur russischen Außenpolitik und Kulturgeschichte derselben Epoche kurz vorgestellt werden.

 

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Zeit Peters des Großen lag das Hauptfeld der russischen Außenpolitik im Dauerkonflikt mit Polen-Litauen. Polen war für annähernd zwei Jahrhunderte die hegemoniale Macht in Osteuropa gewesen und trotz erster russischer Erfolge um 1514, kämpften die Zaren lange vergeblich um größere Gebietsgewinne gegen den westlichen Nachbarn. Die lange Reihe von Konflikten und Kriegen zwischen Russland und Polen-Litauen gipfelten in der Zeit der Smuta (1598-1613) und im großen Krieg von 1654-1667, welcher zur Folge hatte, dass die Russen das ukrainische Hetmanat erobern konnten. Die Beziehungen zu den islamischen Tartarenkhanaten im Süden und Osten Russlands waren äußerst komplex. Russland hatte 1552-1556 Kazan und Astrakhan erobert, war allerdings nicht in der Lage das Krimkhanat anzugreifen, welches unter der Oberherrschaft des Osmanischen Reiches stand, das bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die bedeutendsten Macht im westlichen Eurasien bildete. Die Expansion Schwedens nach Estland und Lettland in den 1570er Jahren und die Eroberung Ingriens (das Gebiet um das heutige Sankt Petersburg), schnitt Russland von jeder Verbindung zur Ostsee und vom Baltikum ab. Zusätzlich etablierte sich mit Schweden ein weiterer gefährlicher Konkurrent Russlands an der Nordgrenze des Binnenstaates. Die völlige diplomatische Isolation konnte Russland schließlich erst 1683 mit dem Eintritt in die Heilige Liga gegen den zweiten Versuch der Osmanen, Wien zu erobern, durchbrechen. Dem Bündisbeitritt folgte auch eine vorläufige Aussöhnung mit Polen-Litauen, was es den Russen zunächst erlaubte, sich auf den Krieg gegen die Osmanen zu konzentrieren. Der Erfolg blieb allerdings weitgehend aus und so begab sich, der junge Zar Peter I. auf der Suche nach einem Schlüssel für die europäische Militärfortschrittlichkeit und neuen Bündnispartnern auf seine berühmte Reise ("Große Gesandtschaft" von 1697-1698) nach Westeuropa. 

Auf der Heimreise von seinem Besuch der englischen und niederländischen Werften traf sich Zar Peter sich mit August II. von Polen und wurde von diesem von der Idee eines Krieges gegen Schweden überzeugt. Einem kombinierten Angriff von Russland, Polen und Dänemark, sollte das schwedische Reich und sein junger unerfahrener König Karl XII. kaum etwas entgegenzusetzen haben. Mit der Kriegserklärung Russlands an Schweden 1700 begann einer der längsten und schicksalhaftesten Kriege des 18. Jahrhunderts: Der Große Nordische Krieg (1700-1721; auch als Zweiter Nordischer Krieg bezeichnet).

Der Kriegsverlauf sollte voller Überraschungen werden und alle Beteiligten mussten feststellen, dass sie sich in den politischen, militärischen, ökonomischen und demographischen Fähigkeiten der Gegner völlig geirrt hatten. Während Polen und Schweden augenscheinlich als die eigentlichen Großmächte in diesen Krieg hineingingen, war Russland hingegen nur eine marginale Macht in Osteuropa. Niemand hatte eine genaue Vorstellung von den tatsächlichen demographischen und wirtschaftlichen Ressourcen Russlands. Für alle Mächte war zunächst nur offensichtlich, dass Russland den Großteil seiner Waffen importieren und ein Teil der Armee permanent im südlichen Festungsgürtel gegen die Osmanen präsent sein musste. Seine Flotte befand sich erst im Aufbau und es mangelte auch hier an ausgebildeten Kapitänen und Matrosen. Der Zar und die großen Boyarenfamilien waren reich, aber das Land selbst war arm. Die Verwaltung Russlands war mittelalterlich und die Zentralregierung in Moskau war langsam und schwerfällig. Russland brauchte nicht nur ausgebildete Offiziere, sondern Männer mit allerlei technischen Fähigkeiten, die für den modernen Krieg, Festungsbau, Schiffsbau und Artillerie notwendig waren. Hinzukam, dass es der russischen Elite schlicht an Bildung und den benötigten Einrichtungen mangelte, um die entsprechenden Kenntnisse zu erwerben. Für viele europäische Staaten war Russland schlicht ein mittelalterlicher Barbarenstaat.

Doch dieser Staat erwies sich für das Militärgenie Karls XII. bald als zäher als gedacht. Obwohl die Schweden den Russen in der Schlacht von Narva ihre schwerste Niederlage des Krieges beibringen konnten, erholte sich Russland rasch von diesem Rückschlag und zwischen 1701 und 1710 gelang es der russischen Armee unter Peter I., große Gebiete des Baltikums und Ingriens zu erobern. Seine berühmteste Schlacht schlug Peter I. im Jahr 1709 als der schwedische König Karl XII. sich nach seinen Siegen über die Polen erneut gegen Russland wandte und auf Moskau zumarschierte. Nachdem es den Russen zunächst gelungen war, die Schweden 1708 in die Ukraine zu manövrieren, entschied sich Karl XII. im Frühjahr 1709 dazu, die kleine Festung Poltava zu belagern. Dort kam es zwischen dem 27. Juni und 8. Juli 1709 zur Entscheidungsschlacht zwischen Schweden und Russen, welche mit der völligen Aufreibung der schwedischen Truppen endete. Der Frieden von Nystad 1721 manifestierte schließlich das politische Erdbeben, das durch den Krieg stattgefunden hatte: Russland erhielt Ingrien, Karelien, Viborg, Estland und Lettland von Schweden, während Polen-Litauen und Schweden durch den Krieg völlig ruiniert waren. Russland war damit in Nordwesteuropa zur dominierenden Macht aufgestiegen und ließ seine alten Konkurrenten hinter sich.

 

Die Periode, die sich an die Herrschaft Peters des Großen anschloss, war geprägt von zahlreichen Hofintrigen und sorgte so für eine gewisse Instabilität des russischen Thrones und des aufgebauten Machtstatus. Der Sohn Peters I., Alexei, wurde bereits 1718 aufgrund dessen Beteiligung an einer Verschwörung gegen den Zaren hingerichtet. Die Erbfolge wurde von Peter vor seinem Tod nicht mehr endgültig geregelt und so gab es unzählige Potentaten auf den Thron. Nacheinander bestiegen zunächst die zweite Frau Peters I., Katharina I. und sein zügellos lebender Enkel, Peter II., den Thron. Nachdem der unverheiratete Peter II. 1730 an einer Pockenerkrankung plötzlich verstarb, war die männliche Linie der Romanows ausgestorben. Die obersten Adligen wählten daher die Herzogin Anna Iwanowna, die Nichte Peters des Großen, zur neuen Kaiserin. Trotz ihrers Desinteresses an der Regierungsarbeit, war die russische Politik unter ihrer Herrschaft sogar einigermaßen erfolgreich. Doch schon im Oktober 1740 verschlimmerte sich plötzlich ein Nierenleiden der Kaiserin und bald darauf verstarb auch Anna Iwanowna. Kurz vor ihrem Verscheiden ernannte sie den Sohn ihrer Nichte Anna Leopoldowna, den Säugling Iwan Antonowitsch zum Thronfolger Russlands. Der junge Zar Iwan VI. und sein Beraterstab konnte sich aber lediglich ein Jahr im Amt behaupten, ehe die russische Garde mit Hilfe Elisabeth Petrovnas, der ältesten Tochter Peters des Großen, alle Vertrauten Anna Iwanownas verhaftete und hinrichten ließ. Iwan VI. wurde zunächst von seinen Eltern getrennt und bis zu seinem Tod 1764 in der Festung Schlüsselburg unter Arrest gestellt.

Erst Elisabeth I. brachte durch ihre lange Regierungszeit von 1741-1762 eine gewisse Stabilität in die russische Politik. Zwei wesentliche Faktoren hatten für die europäische Staatenwelt in der Mitte des 18. Jahrhunderts nun eine immense Bedeutung: Der erste Faktor lag in der Überzeugung Elisabeths, dass das militärisch aggressive Preußen Friedrichs II. eine Bedrohung für Russland sei und dementsprechend radikal eingedämmt oder gar ganz ausgelöscht werden musste. Der zweite Faktor war der, dass alle europäischen Kriegsteilnehmer im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) mit ihren Verbündeten unzufrieden gewesen waren. Was nun folgte, war die berühmte Neuordnung des europäischen Bündnissystems, das renversment des alliances. Alle Verbündeten wechselten die Seite und der heraufziehende Siebenjährige Krieg (1756-1763) sollte zwischen einer preußisch-britischen und einer französisch-habsburgischen Allianz ausgefochten werden. Weil Russland aus alter Tradition ohnehin schon der Verbündete Österreichs war und Frankreich nun zu den Gegnern Preußens zählte, schien es Elisabeth nur logisch, dass auch Russland nun seine eigenen Ambitionen gegen die preußische Machtstellung verfolgen sollte, indem es ebenfalls zum Verbündeten Frankreichs wurde.

Im Siebenjährigen Krieg sah sich Preußen schon bald einer kontinentalen Übermacht gegenüber. Friedrich führte den entbrannten Konflikt mit seinem charakteristischen Genie und nutzte die Differenzen unter den Verbündeten geschickt aus, aber die Herausforderung, der er sich gegenübersah, nahm überwältigende Züge an. Insbesondere die russische Armee war ein unbekannter Faktor für ihn und fügte der preußischen Armee bei Groß-Jägersorf 1757, bei Zornsdorf 1758 und Kunersorf 1759 vernichtende Niederlagen zu. Die Russen besetzten 1758 Ostpreußen und 1760 sogar Berlin. Doch kurz bevor die russischen Truppen den Preußen den endgültigen Todesstoß versetzen konnten, starb die hochbetagte Kaiserin Elisabeth. Der Erbe des russischen Thrones war Elisabeths Neffe,  Großherzog Peter, Herzog von Holstein und enthusiastischer Bewunderer Friedrichs. Der neue Zar Peter III. lehnte es umgehend ab, den Krieg gegen Preußen mit der früheren Intensität fortzusetzen. Im Januar 1762 verließ Russland das Bündnis mit Österreich und Frankreich und bot Friedrich einen Separatfrieden und sogar ein Bündnis an. Peter III. war allerdings selbst nur eine Übergangsstation der russischen Politik und regierte lediglich ein halbes Jahr bevor er durch eine Palastrevolte gestürzt und ermordet wurde. In den ersten Tagen seiner Regentschaft verstimmte Peter III. bereits den Adel und die politisch hochaktive russische Garde, was seine schlaue und ehrgeizige Gattin Katharina bald gegen ihn ausnutzte. Am 28. Juni 1762 wurde Peter III. von der Garde gestürzt und kurz darauf auf (wahrscheinliche) Anweisung seiner Gattin erdrosselt.

 

Im 18. Jahrhundert war das große Bestreben aller Monarchen – ob aufgeklärt oder absolutistisch – die Vergrößerung und Arrondierung des eigenen Reiches. Die Nachfolgerin Peters III. sollte bald zum Champion der großen Territorialvergrößerungskämpfe des 18. Jahrhunderts werden: Katharina II. (die Große). Obwohl die Eroberungen Peters I. im Kampf gegen Schweden und der Einflusserweiterung gegen Polen beachtlich waren, waren die Jahre nach seinem Tod zunächst von einigen Rückschlägen geprägt. Katharina ging nun daran die russische Position in Osteuropa gegenüber Schweden, Polen und den Osmanen weiter auszubauen.

Das sich seit dem Siebenjährigen Krieg angestaute Misstrauen zwischen Preußen, Russland und Österreich wurde schließlich durch einen Plan gelöst, der schon lange in den Kabinetten der Regierungen besprochen und letztlich durch Friedrich II. konkret gemacht wurde: Die Aufteilung Polens. Die Polen konnten sich dagegen militärisch nicht wehren und die Preußen und Österreicher kamen mit Katharina schnell darin überein, dass die eigenen Gebietserweiterungen in Polen ein angemessener Ausgleich für die Erwerbungen der russischen Seite sein würden. So beschloss man im August 1772 Polen ein erstes Mal zu teilen. Weitere polnische Teilungen sollten 1793 und 1795 nach erfolglosen polnischen Aufständen folgen bis Polen schließlich völlig von der Landkarte verschwunden war.

Der brutale Umgang Russlands mit Polen in den 1760er und 1770er Jahren alarmierte bald auch die Schweden und die Osmanen. Besonders die Osmanen fürchteten einen langfristigen Machtwechsel in Osteuropa und beschlossen im Sommer 1768 Russland, den Krieg zu erklären. Der Russische-Türkische Krieg dauerte bis Juli 1774 und endeten mit einem militärischen Desaster für die Osmanen. Der Friede von Küçük Kaynarca 1774 veränderte nachhaltig und dauerhaft die politische Landkarte Osteuropas zugunsten Russlands. Das Jahr 1774 stellte somit zweifellos den größten militärischen und diplomatischen Sieg Russlands im 18. Jahrhundert dar. Die Krim wurde vom Osmanischen Reich offiziell für unabhängig erklärt, stand aber de facto bereits unter russischer Herrschaft. Die Russen erhielten das Recht auf dem Schwarzen Meer Handel zu treiben und bekamen freie Durchfahrtsrechte durch die Dardanellen. Sie erhielten das Recht die Städte Azow und Taganrog zu befestigen und annektierten die gesamte Schwarzmeerküste zwischen Dnjepr und Bug. Außerdem erhielten sie eine ungünstig formulierte Beschützerrolle über alle Christen, die im Osmanischen Reich lebten. Diese Klausel sollte im 19. Jahrhundert noch zu zahlreichen Konflikten mit Konstantinopel führen. Für Katharina II. schien das Osmanische Reich kurz vor seinem Fall zu stehen. Dagegen war Russland 1774 zur europäischen Großmacht aufgestiegen, mit der zukünftig selbst Großbritannien und Frankreich rechnen mussten.

Die politischen Revolutionen, die sich in den 1770er und 1780er Jahren ereigneten, markieren einen Wendepunkt in der europäischen Politik Katharinas der Großen.

Denn im Februar 1778 trat Frankreich auf Seiten der 13 aufständischen Kolonien in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ein. Damit waren gegen Ende der 1770er Jahre sowohl Frankreich und Großbritannien als auch Preußen und Österreich (durch einen Konflikt über die bayerische Erbfolge) in eigene Angelegenheiten verstrickt und besaßen keine Ressourcen, um die sich durch den Frieden von Küçük Kaynarca veränderten Verhältnisse in Osteuropa zu kontrollieren. Katharina sah damit die Chance für ein neuerliches Ausgreifen Russlands gekommen. Potjomkin, ein Gelieber Katharinas II., plante mit seiner Kaiserin weitergehende Eroberungen gegen die Osmanen. Der Plan zielte darauf ab, die Osmanen aus dem gesamten Balkan zurückzudrängen entsprach ganz und gar Katharinas Ambitionen. Dieses strategische Ziel war auch bereits eng mit Joseph II. von Österreich abgesprochen worden und wurde fortan als „das griechische Projekt“ bezeichnet. Eine Aufteilung des Balkans in eine österreichische und russische Interessensphäre wurde ebenso verhandelt wie die Errichtung eines rumänischen Königreichs unter Prinz Potjomkin. Im Falle eines überwältigenden militärischen Erfolgs wurde sogar die völlige Zerschlagung des Osmanischen Reiches und die Wiedererrichtung des Byzantinischen Reiches unter dem Protektorat Russlands und mit Katharinas Enkel Konstantin als ersten neuen Kaiser ausgehandelt. Nun fehlte es Russland und Österreich nur noch an einem Kriegsgrund gegen die Osmanen, welcher aber jedoch schnell gefunden wurde.

Im Anschluss an den Frieden von Küchuk Kaynarca geriet die Krim zunehmend in bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen einer pro-russischen und pro-osmanischen Gruppierung. Im April 1783 dankte der letzte russische Marionettenherrscher zugunsten der Russischen Krone ab und Katharina verkündete die Annektion der Krim ins Russländische Reich. Damit wollte Katharina eine scharfe Reaktion der Osmanen provozieren. Diese hielten sich nach den letzten Kriegserfahrungen aber zurück. Auf den letztlichen Kriegsausbruch musste sie aber nicht lange warten, denn im Sommer 1787 stattete ihr Joseph II. einen Staatsbesuch ab und gemeinsam bereisten sie auf pompöse Art und Weise die Territorien Neu-Russlands in der Ukraine und auf der Krim. Zu diesem Anlass weihte die russische Flotte auch feierlich ihren neuen Flottenstützpunkt Sewastopol ein. Der Besuch Josephs II. schien symbolisch für den Beginn der Ausführung des „griechischen Projekts“ zu stehen und genügte, um eine osmanische Kriegserklärung zu provozieren.

Doch der Krieg gegen die Osmanen wurde schon unmittelbar nach Kriegsausbruch durch die Aufstände in der Österreichischen Niederlande, dem Tod Josephs II. und der Ablenkung Österreichs durch die Französische Revolution erschwert. Katharina musste anerkennen, dass die Osmanen nicht so leicht zu besiegen waren wie sie dachte und im Frieden von Jassy musste sie 1792 ihr „griechisches Projekt“ weitgehend begraben. Russland gewann lediglich noch Ochakov und das Gebiet zwischen Djnestr und Bug für sich. Außerdem anerkannten die Osmanen die Annektion der Krim.

Im Kontext des 18. Jahrhunderts besaß Katharinas Außenpolitik bis dahin einen überwältigenden Erfolg. Sie eroberte 300.000km² für Russland und vergrößerte die Bevölkerung von 19 auf 36 Millionen Menschen. Nichtsdestotrotz sollte hier auch noch festgehalten werden, dass Katharinas aggressive Außenpolitik nur aufgrund der Überwindung und Missachtung einer großen adligen Opposition zustande kommen konnte. Die anti-osmanische Partei um Potjomkin und die Zubovs musste sich lange Zeit gegen pro-osmanische Adelige um Alexander Vorontsov zur Wehr setzen, die eine Aufteilung des Osmanischen Reiches für einen kapitalen Fehler hielten.

Die expansionistischen Bestrebungen Russland rissen in den 1790er Jahren urplötzlich ab, was als Folge von mindestens vier Faktoren gesehen werden muss. Zunächst war zum Ende von Katharinas Herrschaft die russische Herrschaft über das Schwarze Meer und die baltische See weitgehend gesichert. Man war dort gewissermaßen auf „natürliche Grenzen“ gestoßen. Zweitens, hatte sich Russland bis 1795 den Großteil Polens einverleibt. Ein jahrhundelanger Feind und ständiger Unruheherd in Osteuropa war damit endgültig getilgt worden. Nun grenzte Russland im Westen unmittelbar an zwei bedeutende, stabile und ebenso ehrgeizige Großmächte: Preußen und Österreich. Den dritte Grund stellten die internationalen Herausforderungen durch die Französische Revolution dar. Katharinas bis zum Ausbruch der Revolution weitgehend liberale Innenpolitik verkehrte sich 1789 in radikalen Konservatismus und Zensur. War sie einst die große Förderin der schönen Künste und politischer Philosophie gewesen, so gingen ihr die Veränderungen in Frankreich nun viel zu schnell. Den vierten Faktor bildete letztlich der Tod Katharinas 1796 und der Herrschaftsantritt Pauls I.

Katharinas Sohn Paul war das komplette Gegenteil seiner Mutter, die keine Chance ausließ, um die Macht Russlands zu vergrößern. Er litt vermudlich unter verschiedenen geistigen Störungen und war besonders von der Politik Nikita Panins beeinflusst und zu der Überzeugung gelangt, dass Russland vor allem Ruhe, Ordnung und der Erschließung seiner inneren Ressourcen bedurfte. Paul I. verpflichtete sich einer extrem moralischen und politisch-sozial stabilen Politik. Zwischen 1797 und 1799 rief er die Mächte Europas dreimal zu einem allgemeinen Friedenskongress auf, stieß aber nirgendwo auf Interesse. Als Napoleon seinen berühmten Ägyptenfeldzug begann und dabei Malta für Frankreich eroberte, unterschrieb Paul einen Bündnisvertrag mit dem ältesten Feind Russlands, dem Osmanischen Reich. Durch Frankreichs Ausgreifen nach Ägypten und in den Orient war Paul kurzzeitig überzeugt, dass Frankreich und die Französische Revolution die gesamte Stabilität Europas bedrohte und trat 1798 der Zweiten Koalition gegen Frankreich bei. Als er sich kurz darauf auch von den britischen und österreichischen Ambitionen enttäuscht sah, verließ er demonstrativ das Bündnis der Feinde Frankreichs. Seine Ambitionen zielten nun darauf ab, eine eigene neutrale Nordische Liga zu gründen, der Russland, Preußen, Dänemark, Schweden, Sachsen und Hannover angehören sollten. Ziel war es, den französischen und österreichischen Ambitionen ein Gegengewicht entgegenzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte in Frankreich ein neuerlicher Machtwechsel stattgefunden. Der große Mann in Frankreich war nun der Erste Konsul Napoleon Bonaparte, der umgehend zahlreiche Geschenke nach Sankt Petersburg entsandte, um dem eitlen Zaren zu schmeicheln. Paul ging Napoleon umgehend auf den Leim und war sofort bereit, mit Frankreich ein Bündnis einzugehen. Paul selbst beschwor den Emporkömmling  Napoleon sich zum Monarchen zu krönen, wenn er dafür nur die Ruhe und Ordnung in Europa wiederherstellen würde. Napoleon passte das vorerst wunderbar in sein Pazifierungsprogramm, um sich als großer Friedensstifter in Frankreich aufzubauen. Für Paul war nun Großbritannien der große Unruheherd in Europa, der alle aufstachelte den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen. Paul schlug Napoleon persönlich einen Feldzug gegen Indien vor. So fantastisch der Plan auch anmutete, war er doch für Großbritannien bedeutend genug eine Flotte in die Ostsee zu entsenden, um die bewaffnete Neutralität der Nordischen Liga endgültig zu unterbinden. Der kurz bevorstehende Bruch zwischen Russland und Großbritannien genügte, um eine neuerliche Palastrevolte in Sankt Petersburg geschehen zu lassen. Als die britische Flotte am 2. April 1801 von Kopenhagen in Richtung Sankt Petersburg aufbrach, war Paul I. bereits ermordet und sein Sohn Alexander I. neuer russischer Zar. Alexander bemühte sich umgehend mit den Briten zu einem Einverständnis zu kommen und ging auf alle wesentlichen Forderungen der Briten ein und verkündete vorerst einen Rückzug Russlands aus allen europäischen Angelegenheiten. Doch Alexander I. war seiner Großmutter Katharina zu ähnlich, um sich allzu lange aus den europäischen Angelegenheiten herauszuhalten. Im Jahr 1805 schloss er sich der Dritten Koalition gegen Napoleon an und wurde bei Austerlitz, Eylau und Friedland von Napoleon vernichtend geschlagen. Auf die kurzzeitige Aussöhnung und das Bündnis mit Frankreich nach 1807 folgte der Russlandfeldzug Napoleons - der "Vaterländische Krieg" - von 1812. In den anschließenden Befreiungskriegen tat sich Russland als Hauptgegner Napoleons hervor, der die Hauptlast am Kriegsgeschehen tragen musste. Entsprechend groß wollte Russland seine Rolle auch auf dem Wiener Kongress 1814/15 verstanden wissen und erhob sich auf diesem endgültig zur europäischen Großmacht, ohne die zukünftig keine Friedensordnung in Europa aufrechterhalten werden konnte. Russland sah sich fortan als „Hort des Konservatismus“, der jegliche europäischen Revolutionsbestrebungen im Keim zu ersticken versuchte.

 

An dieser Stelle sollen noch ein paar Worte über die russische Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts gesagt werden, die die ungeheure Dynamik auf die russische Gesellschaft in dieser Zeit deutlich machen.

Zwei Dekrete, die wenige Wochen hintereinander verabschiedet wurden, gaben Ende des Jahres 1699 den ersten Vorgeschmack auf die tiefgreifenden kulturellen Veränderungen, die sich im Russland des 18. Jahrhunderts vollführen sollten. Mit dem ersten Dekret ersetzte Peter I. die byzantinische Tradition, die Jahre seit der angeblichen Schöpfung der Menschheit zu zählen und befahl stattdessen das Zählen nach der Geburt Christi „in der Art der europäischen Nationen“. Künftig sollte das neue Jahr im Januar und nicht im September beginnen. Am 4. Januar 1700 wurde allen russischen Stadtbürgern befohlen, westliche Kleidung zu tragen. Das Tragen „deutscher Kleidung“ und das Rasieren der Bärte wurden gesetzlich für alle Einwohner der großen russischen Städte angeordnet. Beide Dekrete empörten die orthodoxe Kirche und Strenggläubige. In der Folge wurde die Macht der Orthodoxen Kirche von Peter mit der Auflösung des Patriarchats 1721 stark beschränkt. Historiker sind sich darüber einig, dass die Petrinischen Reformen, die meist auch als Revolution bezeichnet werden, den Spalt zwischen russischer Adels- und Bauernkultur erheblich vergrößerte. Die Elite begann zu den westlichen Kulturen „aufzuschließen“, während die niederen Stände mit der Geschwindkeit der Reformen nicht Schritt halten konnte. Doch auch im russischen Adel begann sich eine Spaltung in "Westler" und "Altmoskovitern" abzuzeichnen. Das ganze russische 18. und 19. Jahrhundert war fortan geprägt von der inneren Zerissenheit Russlands, ob es sich als Teil einer modernen, europäischen Staatenordnung oder als ein völlig eigenes, slawisch-orthodoxes Reich mit europäischen und asiatischen Elementen sehen sollte. Damit öffnete sich ein tiefer, ideologischer Graben durch die russische Elite, der auch mit unterschiedlichen Politikrichtungen verbunden war und der bis heute noch in der russischen Gesellschaft zu spüren ist. Seit den 1690er Jahren bis in die 1790er Jahren war der dennoch der dominante Trend in der russischen Kultur stets die Adaption und Imitation der aktuellen westlichen Stilrichtungen: Barock, Rokoko und Neoklassizismus. Die Einflussschwerpunkte und die Inspiration wechselten dabei einander ab, vom ukrainisch-polnischen Raum, zum deutschen und französischen bis hin zum englischen unter Katharina II.

Besonders die neue russische Hauptstadt Sankt Petersburg entwickelte sich zum "Fenster nach Westen". Peter I. warb zahllose ausländische Architekten und Künstler an, um die Hauptstadt nach westlichem Vorbild aufzubauen und auszugestalten. Sankt Petersburg wurde nach der Ernennung zur russischen Hauptstadt 1712 zur Projektionsfläche des Petrinischen Kulturprogramms, das sich im 18. Jahrhundert vor allem noch in Moskau, Smolensk und anderen russischen Großstädten durchsetzen konnte. Der Großteil des Landes verharrte aber weiterhin in der traditionellen russisch-orthodoxen Kultur. Sankt Petersburg hingegen wurde gemäß einem geometrischen Plan angelegt, der jedoch nie völlig umgesetzt werden konnte. Im Gegensatz zu Moskau, wo sich der Zarenhof in den engen Mauern des Kremls nach Geschlechtern getrennt, zurechtfinden musste, wurden nun am Ufer der Neva zahlreiche Gebäude errichtet, die die barocken Maskeraden, Paraden und Bälle auch beherbergen konnten, allen voran das "russische Versailles" Schloss Peterhof vor den Toren der Stadt. Doch an der Ufer der Neva war der größte Blickfang schon bald die hohe goldene Spitze der Peter und Pauls Kathedrale der gleichnamigen Festung.

Historiker haben lange Zeit die Periode zwischen dem Tod Peters des Großen und dem Herrschaftsantritt seiner „geistigen Tochter“ Katharina der Großen vernachlässigt. Katharina I. und Peter III. regierten zu kurz und Peter II und Iwan VI. starben zu jung, um irgendeinen Einfluss in der russischen Kultur zu hinterlassen. Gleichzeitig kritisierte man Anna I. wegen ihrer überaus starken Beeinflussung durch Deutsche und Elisabeth I. für ihre Extravaganz. Erst in jüngster Zeit hat die Forschung nachweisen können, dass Annas Beeinflussung durch Deutsche gar nicht so groß war und Elisabeths Extravaganz den pragmatischen Zweck der Zuschaustellung der monarchischen Pracht im Zeichen des Absolutismus erfüllte.

Zeitweilig sah es unter Peter II. so aus, dass seine aristokratischen Berater den altmoskowitischen Einfluss auch in der Kultur wiederherstellen würden. Seine Nachfolgerin Anna hingegen bevorzugte die westliche Kulturausrichtung ihres Onkels Peter I. Erst unter ihrer Herrschaft wurde ein mehr oder weniger kaiserlicher Hofstaat aufgebaut und ein Luxus zur Schau gestellt, der mit dem Hof Frankreichs konkurrieren konnte. Nichtsdestotrotz blieben die meisten Baumaßnahmen unter Anna unvollendet. Einzig der 1732-35 errichtete, hölzerne Winterpalast am Ufer der Neva, zeugt noch von den großen Plänen, die unter Anna begonnen wurden. Elisabeth I. hingegen besaß tausende prachtvolle Kleider und liebte bombastische Transvestitenbälle. Um derartig aufwendige und große Veranstaltungen die passenden Räumlichkeiten zu bieten, wurde in den 1740/50er Jahren in Tskarskoe Selo bei Sankt Petersburg der Katharinenpalast gebaut, der auch das prächtige Bernsteinzimmer beherbergte.

Der berühmte Winterpalast wurde 1762 in Sankt Petersburg fertiggestellt und war mit den Worten seines Architekten Rastrellis einzig erbaut worden, um „die Größe und Pracht Russlands zu verehren“.

Auch auf Gebieten wie der Musik, dem Tanz und der Malerei erlebte Russland einen unglaublichen Aufschwung im 18. Jahrhundert. In den späten 1730er Jahren eröffnete der französische Ballettmeister Jean-Baptiste Landé die erste Ballettschule Russlands in Sankt Petersburg. Die erste Oper Aufführung erlebte man 1731 in Moskau. 1755 wurde in Moskau auf Betreiben des wissenschaftlichen Genies Mikhail Lomonosov die Moskauer Universität gegründet, die heute nach ihm benannt ist. Es waren Individuen wie Trediakovskii und Lomonosov, die in Russland die Grundlagen für eine professionelle literarische Kultur in moderner russischer Sprache legten. Sie begannen im großen Stil damit mit westlicher Literaturtheorie und Versformen auf Russisch zu experimentieren und die moderne russische Sprache für die Literatur tauglich zu machen. Dies waren bedeutende Vorarbeiten, die es Alexandr Puschkin Anfang des 19. Jahrhunderts möglich machten, ihr Werk zu perfektionieren.

Den größten kulturellen Aufschwung erlebte Russland dann aber unter Katharina II. Katharina besaß eine Leidenschaft für Architektur und Landschaftsbau, war eine kluge Autorin, schrieb Theaterstücke und ganze Gesetzestexte und war eine nicht zu sättigende Sammlerin. Man schätzt die Zahl ihrer Kunsterwerbungen auf rund 4000 alte Meisterwerke, darunter 8 Rembrandts, 6 Van Dycks, 3 Rubens und ein Raphael, die sich heute in der Eremitage in Sankt Petersburg befinden. Wie die meisten Monarchen ihrer Zeit begeisterte sich Katharina für den Neoklassizismus in der Architektur. Raum und Proportion, antike Eleganz und Schlichtheit, keine kitschigen Ornamente waren nun Stil der Zeit. So hatte Rastrellis Barock und Rokkoko auch nicht die Herrschaft Elisabeths überdauert. Ein typisches Beispiel für die russische Neoklassizistik wurde der Taurische Palast, der 1783-89 gebaut wurde. Auch das nahe dem Katharinenpalast gelegene Schloss Pawlowsk, das für Katharinas Sohn Paul gebaut wurde, stellt einen typischen Bau des Neoklassizismus dar. Ebenso typisch war schließlich der Bau der neu entstandenen Akademie der Wissenschaften.

 

 

 

 

 

 

 

 

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© 2015 by Tim Altpeter

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